22. März - Sonntag Laetare - Pastorin Schwethelm

Lätare – freue dich!

 

Ostern fällt dann jetzt wohl auch aus?!“ schreibt mir meine Mutter und ich nicke, als könnte sie es sehen und stecke mein Handy in die Tasche. Nein, wir werden uns zu Ostern vermutlich nicht sehen. Auch nicht davor und wer weiß, wann danach.

Eine neue Fastenzeit ist angebrochen. Eine, von der niemand so genau weiß, wie lange sie andauert. Eine Zeit, in der ich ganz plötzlich verzichten muss. Auf alltägliche und nicht alltägliche Dinge und Abläufe, die mir erst jetzt, wo sie auf unbestimmte Zeit wegfallen, kostbar und nahezu unverzichtbar erscheinen.

Genau, ich übertreibe. Denn im Prinzip geht es mir super. Meine Familie und Freunde sind und ich selbst bin gesund. Ich muss keine Kinder Zuhause betreuen und um meine Existenz jetzt oder nach der Corona-Krise muss ich mich auch nicht sorgen. Ich gehe jeden Tag zur Arbeit, schreibe Briefe und telefoniere mit Menschen, die gerade wirklich auf vieles verzichten müssen und die der Verzicht schmerzt.

Ich hingegen kann einkaufen gehen und mich darüber wundern, dass die Paletten mit Klopapier leer sind. Ich kann auf Youtube, Videos, Lieder, Andachten und Gottesdienste hören und sehen oder einfach rausgehen und den anbrechenden Frühling bestaunen. Und ich kann trösten und mich erinnern. Ich kann noch so vieles tun. Hoffnung ist nicht abgesagt!

 

Jesaja 66, 10-14

Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.

Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust.

Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen.

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.

Ihr werdet's sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.

 

Freuet euch mit Jerusalem! Seid fröhlich! Sie soll getröstet werden und alle mit ihr.

Wie eine Mutter tröstet, so will Gott sein Volk trösten. Mit überströmenden Bächen des Friedens und der Freude. Eine zärtliche Zusage! Ein leidenschaftliches Versprechen in leidenschaftlichen Bildern!

Hoffnung ist angesagt! Trost und Freude vorausgesagt. Mitten in der Passionszeit, mitten in der Corona-Zeit. Hinein in meine Ängste, Sorgen und Ohnmacht. Mitten im Frühling. Mitten in all die durchkreuzten Pläne höre ich: „Lätare – freue dich!“

 

Trost und Freude – das kann ich gut gebrauchen. Das können alle gerade sehr gut gebrauchen. Dringender als Nudeln und Toilettenpapier!

 

Und ja, ich will mich freuen: über die blühenden Kirschbäume, die nestbauenden Vögel. Über die warmen Sonnenstrahlen und die Nachricht eines lieben Freundes. Über die Hoffnungsbotschaften am Telefon und das Lächeln der Nachbarin im Treppenhaus. Über die vielen kreativen Ideen, wie wir Menschen erreichen und beistehen können. Darüber, dass Henning Mittwoch geboren wurde und das selbstgemalte Bild vor der Kirchentür.

 

Und ich will mich trösten lassen:

Von den Hoffnungssteinen, die ich bemale, verstecke und finde. Von den Karten und Texten an der Hoffnungsleine. Von dem Kirchturm, den ich von meinem Balkon aus sehen kann. Vom heutigen Predigttext, der auch um das Leid und den Schmerz weiß. Der die Tränen sieht und die Einsamkeit. Ich will mich trösten lassen von der Hoffnung, dass wir getröstet werden sollen. Trösten lassen, von der Hoffnung, dass alle Tränen abgewischt werden sollen. Dass all mein Unverständnis, meine Wut, meine Ohnmacht, meine Angst und Hilflosigkeit ein Ende haben werden.

 

Und bis dahin will ich mich erinnern:

An die Sommerabende an der Ostsee, den Spaziergang an der Elbe, dein Haar im Wind und wie es in der Stube meiner Oma roch. An Lagerfeuerabende mit lauten Liedern und leisen, ernsten Gesprächen. Den Sommer in Schweden, als die Zeit stillstand. An die blühende Heide und sandige Erdbeeren in meinem Mund. Ich erinnere mich, wie wir unsere Brote auf dem Schulhof teilten und ich mit meinem Opa eine Hütte baute. Ich erinnere mich an klebrige, rosa Zuckerwatte und die Zugfahrt nach Schwerin. Die segnenden Hände auf meinem Kopf und mein lachendes Patenkind. Ich erinnere mich an verstohlene Blicke und zärtliche Berührungen. Ich erinnere mich an mein Herzklopfen und wie ich vor Freude tanzte als St. Pauli aufstieg. An die Wellen im Atlantik und Fahrradtouren nach Wietzendorf. Ich erinnere mich an deine krakelige Schrift auf bunten Postkarten und wie wir Wolken beobachteten. Ich erinnere mich an die Lichter des Hafens und meinen ersten Liebeskummer. An dein Lieblingslied und wie nasses Gras riecht. Ich erinnere mich… und ich freue mich.

Über deine und meine Erinnerungen. Erinnerungen wie überströmende Bäche der Hoffnung und des Trostes. Bilder des Friedens, des Aufbruchs und der Liebe.

 

Hoffnung ist angesagt! Trost ist zugesagt! Freude vorausgesagt!

 

Wir werden wieder zusammensitzen. Uns umarmen dürfen. Lieder singen und einander Geschichten erzählen. Wir werden uns Trostworte zuflüstern – ganz nah und an den Händen halten.

Ich freue mich jetzt schon darauf!

 

Amen

 

(Pastorin Gwen Schwethelm zum 4. Sonntag in der Passionszeit – Lätare)

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