Predigt für den 10. April - Karfreitag von Prädikant Frahm

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Von uns aus gesehen ist Karfreitag nah an Ostern –
zu Tode betrübt und dann himmelhochjauchzend.
Für die Jünger war der Tag der Tötung Jesus weit entfernt von der Auferstehung Christus. Sie konnten nicht daran glauben. Es war für sie nicht sichtbar und auch nicht fühlbar – obwohl sie von ihrem Meister mehrfach darauf vorbereitet waren. Und lag das Wunder noch so nah, ihr Glauben war gefangen in der irdischen Welt.

Für uns heute ist das Ende der Pandemie in unbekannter Ferne –
liegt auch der Trost und die Geborgenheit in Gott so nah.
Doch schon die Vorstellung, es gibt ein Ende der Pandemie, ist ein Licht.

Wir sind vernünftig und ängstlich, glauben und zweifeln – Thomas, der „ungläubige Thomas“, ist in uns.
Als Jesus bei seinem letzten Abendmahl seinen nahen Tod ankündigt, sagt er, dass er gehe, um für die Jünger einen Platz vorzubereiten, damit auch sie dort seien, wo er ist; und er erläutert ihnen: „Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr“. Doch Thomas versteht nicht: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“. Und Jesus antwortet „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“

Wenn wir heute zum Karfreitag zusammenkommen, mag es sich wie ein Ewigkeitssonntag oder Volkstrauertag anfüllen - aber das war der Kreuzigungstag nicht. Der Kreuzigungstag war keine Trauerfeier, keine andächtige, wahrhaftige Stimmung einer Beerdigung. Es war ein Tag der Barbarei - und des Versteckens der Hinterbliebenen.

Es war ein Tag der Barbarei – Jesus von Nazareth wurde aus machtpolitischen Gründen auf bestialische Weise ermordet.
Auch ein Tag der Barbarei in der Verwahrlosung von Menschen – der Mob hatte diese Tötung gefordert, geschrien „Kreuzigt ihn“ und jubelte über die öffentliche Hinrichtung.
Und die Hinterbliebenen und Freude mussten sich kleinmachen und im Geheimen treffen. Wer in Schmerz und Verzweiflung erstarrt war, tat gut daran, sich dieses nicht anmerken zu lassen, um nicht im Gejohle tot geschlagen zu werden.
Karfreitag war für die Hinterbliebenen kein symbolhaftes Ereignis. Das Kreuz war für sie ein reales Hinrichtungsinstrument.  Wenn es für etwas als Symbol stand, war es für die Jüngerinnen und Jünger ein Symbol des Scheiterns.
Sie beklagten den Tod von „Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk.“
Sie klagten, dass  „unsere Hohenpriester und Oberen ihn zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.“
Sie hatten doch gehofft, „er sei es, der Israel erlösen werde“.  

In diesem Moment ist Jesus Christus nicht die Hoffnung und Freude, nicht die Stärke und das Licht. An diesem Tag der Hinrichtung sind die Freunde innerlich wund, ihre Augen und Sinne sind gefangen, ihre Hoffnung und das messianische Licht ist erstmal erloschen worden.
Die Kreuzigung hatte noch nicht die symbolhafte Erhöhung wie sie es seit Paulus-Zeiten hat -  zwanzig Jahre nach der öffentlichen Tötung.
Mit Abstand zum Schmerz konnte die Kreuzigung auch als Same für Hoffnung und Neuanfang empfunden werden. In der biblischen Rede ist das Sterben Jesu ein Sühnegeschehen. Das Wort Sühne meinte – im Gegensatz zur heutigen Bedeutung – die heilvolle Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott, der einen Neuanfang ermöglicht.
Gott war in seinem Sohn zu uns gekommen, in das Leben, das wir leben und in den Tod, den wir sterben. Er hatte seinen Sohn nicht geopfert, sondern uns geschenkt und Menschen haben ihn auf eine Weise umgebracht, wie es damals üblich war.
„Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind“, prophezeit Jesus lange vor seinem Tod.
In der Trinität, der Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiliger Geist, lebt und stirbt Gott – das Göttliche - unter uns. Gott selbst liefert sich menschlicher Feindschaft und menschlichem Hass aus. Die in der Kreuzigung manifeste Gewalt wird auf sich genommen und ausgehalten.
Sie wird  überwunden durch göttliche Liebe und Vergebung.
Der Karfreitag ist ein Bewusstwerden des Göttlichen und des Menschen im Göttlichen, der „hinabgestiegen ist in das Reich des Todes“ wie wir im Glaubensbekenntnis sprechen. Es ist nicht nur ein Tag der Klage, der Kummer und Trauer. Es ist auch ein Tag der Reinigung und der Erlösung – ein Tag des Möglichen. Wir können neu ins Leben gehen.
Es ist ein bewusster Blick auf das Kreuz,  bevor uns das Osterfest auffängt und aufrichtet.

Für uns, die wir Karfreitag und Ostern zusammen sehen können, ist Christus unsere Zuversicht – auch jetzt, wo wir mitten in der Krise stehen und wir durch das Tal der Pandemie schreiten.  Jesus ist zu uns gekommen und das geworden, was wir Menschen sind, damit wir Menschen teilhaben können an dem, was Jesus ist.

In diesem Jahr wollte ich die Passion nicht als Leiden von Jesus, sondern als Leidenschaft für Jesus feiern  -  mit dem Frühling als Hintergrundmusik.
Ich wollte mich orientieren an der Wegzehrung von Angelus Silesius:
„Blüh‘ auf gefrorner Christ.“
Ich wollte es und will es und will mich auch nicht davon abhalten lassen,
denn wir werden das österliche Jubeln erleben.

Am Karfreitag wird Gott gekreuzigt
und wird doch immer wieder in uns geboren.

Amen

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